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den Tiefen der Seele kommende Kraft, welche den Augapfel bei
hellem Tage vergrößerte, wie er sich bei jedermann gewöhnlich
im Dunkeln vergrößert, indem er so den Azur dieser himmlischen
Augen glänzend machte? Wie dem auch sein möge, man konnte
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Véronique unmöglich kalt anschauen, wenn sie vom Altar wieder
an ihren Platz ging, nachdem sie sich mit Gott vereinigt hatte,
und sie sich der Gemeinde in ihrem früheren Glanze zeigte. Ihre
Schönheit hatte dann die der schönsten Frauen verdunkelt. Welch
ein Zauber für einen verliebten und eifersüchtigen Mann war die-
ser Schleier aus Fleisch, der die Gattin vor den Blicken aller ver-
bergen mußte, ein Schleier, den die Hand der Liebe aufheben und
über die erlaubten Wonnen zurückfallen lassen würde! Véronique
besaß vollkommen bogenförmige Lippen, von denen man hätte
annehmen müssen, daß sie zinnoberrot gemalt worden wären, so
reichlich floß in ihnen ein reines und heißes Blut. Ihr Kinn und
die untere Hälfte ihres Gesichtes waren ein bißchen fett in der
Bedeutung, welche die Maler diesem Worte geben; und diese
dicke Form ist nach den erbarmungslosen Gesetzen der Physiolo-
gie das Anzeichen eines fast krankhaften Ungestüms in der Lei-
denschaft. Ueber ihrer schöngeformten, aber fast gebieterischen
Stirn trug sie ein wundervolles Diadem von reichen, üppigen und
kastanienbraun gewordenen Haaren.
Von ihrem sechzehnten Lebensjahre an bis zu ihrem Hochzeitsta-
ge trug Véronique eine nachdenksame Miene voller Melancholie
zur Schau. In einer so tiefen Einsamkeit mußte sie wie die Ein-
siedler das große Schauspiel dessen, was in ihr vorging, prüfen:
den Fortschritt ihrer Gedanken, die Verschiedenheit der Bilder
und den Aufschwung der durch ein reines Leben erwärmten Ge-
fühle. Leute, welche die Nase aufhoben, wenn sie durch die rue
de la Cité gingen, konnten der Sauviat Tochter an schönen Tagen
nähend, strickend oder die Nadel auf ihrem Kanevas führend, mit
ziemlich nachdenklicher Miene an ihrem Fenster sitzen sehen. Ihr
Kopf hob sich lebhaft zwischen den Blumen ab, welche die brau-
ne und rissige Brüstung ihrer Fenster mit ihren in bleiernem Netz
festgehaltenen Scheiben dichterisch ausschmückten. Manchmal
kam der Reflex der roten Damastvorhänge noch zu der Wirkung
dieses bereits so farbigen Kopfes hinzu; wie eine purpurrot ge-
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färbte Blume beherrschte sie das so sorgfältig von ihr unterhalte-
ne duftige Gewirr auf ihrem Fensterbrett. Das alte naive Haus
besaß also etwas noch Naiveres: das eines Mieris, Ostade, Ter-
borch und Gérard Dou würdige Bild eines jungen Mädchens, ein-
gerahmt in eines jener fast zerstörten, altertümlichen und braunen
Fenster, welche ihre Pinsel geliebt haben. Wenn ein Fremder,
überrascht von diesem Bau, mit offenem Munde stehenblieb, um
den zweiten Stock zu betrachten, dann steckte der alte Sauviat
seinen Kopf dergestalt vor, daß er über die von der Ausladung
vorgezeichnete Linie hinausragte, und war sicher, seine Tochter
am Fenster zu finden. Sich die Hände reibend, zog der Alteisen-
händler sich zurück und sagte zu seiner Frau im Auvergnater
Platt: »He, Alte, man bewundert dein Kind!«
Im Jahre 1820 geschah in dem einfachen und ereignislosen Le-
ben, das Veronique führte, ein Zufall, der bei jeder anderen Per-
son von keiner Wichtigkeit gewesen wäre, auf ihre Zukunft aber
vielleicht einen furchtbaren Einfluß ausübte. An einem aufgeho-
benen Feiertage, an dem die ganze Stadt bei der Arbeit blieb,
während die Sauviat ihren Laden schlossen, in die Kirche gingen
und lustwandelten, kam Véronique, als sie ins Freie gehen wollte,
an einer Buchhandlungsauslage vorbei, wo sie ein Exemplar von
»Paul und Virginia« sah. Auf Grund der Umschlagsgravüre hin
hatte sie Lust es zu kaufen; ihr Vater bezahlte hundert Sous für
den verhängnisvollen Band und steckte ihn in die weite Tasche
seines Ueberrocks.
»Würdest du nicht besser tun, es dem Herrn Vikar zu zeigen?«
fragte sie die Mutter, für die jedes gedruckte Buch immer etwas
nach Zauberei roch.
»Ich dachte dran!« erwiderte Veronique einfach.
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Das Kind verbrachte die Nacht mit der Lektüre dieses Romans,
eines der rührendsten Bücher der französischen Sprache. Das
Gemälde dieser halb biblischen und der Anfangszeiten der Welt
würdigen Liebe verheerte Veroniques Herz. Eine Hand, soll man
sie eine göttliche oder eine teuflische nennen, nahm den Schleier
fort, der die Natur bis dahin für sie bedeckt hatte. Die kleine in
dem schönen Mädchen verborgene Jungfrau fand andren Mor-
gens ihre Blumen schöner, als sie es am Vorabend gewesen wa-
ren; sie verstand ihre symbolische Sprache, erforschte den Azur
des Himmels mit einer begeisterungsvollen Beständigkeit, und
Tränen rannen dann ohne Ursache aus ihren Augen. In aller Frau- [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]

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